Berlin Anekdoten,  Berlin Geschichten

Prangenten e. V. prangert an: Na, wieder nicht zugehört?

Morgens kurz nach 8 Uhr in Berlin. Ich, mein Körper, und somit meine innere Stimme schlafen eigentlich noch. Erstaunlicherweise befinden wir drei uns trotzdem fußläufig auf dem Weg zur Bahn. Irgendeiner von uns Dreien scheint den Weg glücklicherweise auswendig zu kennen.

Ich habe mir einst für diesen, sich täglich murmeltierenden, Fall einen klaren und strukturierten Ablauf zurechtgelegt, quasi einen Morgenalgorithmus. Ganz simpel, no Hirnakrobatik needed:

  1. Aus dem Haus gehen, und Zigarette in’s Gesicht
  2. Die U-Bahn erreichen
  3. Diese bietet Anschluss an die S-Bahn. Meistens
  4. Diese schließt mich wiederum an den Bus, oder in Meistens-Ausnahmefällen, an einen 15 minütigen Fußmarsch an
  5. Nächste Zigarette in’s Gesicht, und in das Haus gehen

So schließt sich der morgendliche Reisekreis. Für einen normalen Morgen eigentlich idiotensicher das Ganze.

Nun sitze ich im dreiviertel-wachen Zustand am letzten Freitag bereits in der U-Bahn und es durchzuckt mich ein Gedanke. Oder halt, ist das nicht meine innere Stimme? Man erkennt sie leicht daran, dass sie so lieblich klingt wie ich selbst. Nur mehr so von innen heraus. Sie mahnt:

„Verzichte er heute auf die S-Bahn. Es könnten Verzögerungen noch unbekannter Art zu erwarten sein!“

Während ich noch sinniere warum mich meine innere Stimme heute in der dritten Person anspricht, entscheide ich mich sie / ihn / my inner me zu ignorieren. Wird schon gut gehen mit der Berliner S-Bahn. Liegt doch kaum Schnee, und für die Jahreszeit ist es fast zu warm. Denke ich während ich die U-Bahn höhnend verlasse. Um am S-Bahn-Gleis dann auf der Anzeige, retour-höhnend, zu lesen:

Zug fällt aus

F%*@#&*×&## %@ – aha, meine bessere Stimme wusste es. Schon wieder. Ich habe nicht auf sie hören wollen. Schon wieder. Das ist natürlich F%*@#&*×&## %@ und somit etwas ungünstig. Warum ignoriere ich sie auch immer wieder? Sie / er / my inner me weiß es doch sowieso meist besser. Nun muss ich mich wieder belehren lassen. Das kann ich nicht leiden. Daher prangere ich das an. Mich selbst und meine eigene Nicht-Selbsthörigkeit prangere ich hiermit an. Das muss aufhören. Man sollte sich doch ruhig öfter mal selbst vertrauen. Schließlich ist man doch selbst sein bester Ratgeber. Heißt es.

Apropos Vertrauen. Ergänzend noch zum Thema S-Bahn. Warum fällt sie eigentlich heute aus? Und hier beginnt, was ich liebevoll das „Berliner ÖPNV-Roulette“ getauft habe. Die Regeln sind einfach, und ich beschließe dem Spiel „ich gegen mich“ noch eine letzte Runde einzuräumen:

  1. Man finde einen nicht-optimal funktionierenden Teil des Berliner ÖPNV
  2. Man orakele den hier gegebenen, aktuellen Ausfallgrund
  3. Man platziere seine Wette auf den selbigen, und hoffe auf einen positiven Ausgang

Vor der Ansage und der darauf folgenden Auflösung, warum der begehrte Zug wohl heute seinen öffentlichen Transportdienst verweigert, dürfen noch Einsätze gemacht werden. Vom eher symbolischen „Habbick doch jewusst“ bis hin zur Traumvilla mit Swimmingpool ist als mögliche Belohnung alles dabei. Je nach Buchmacher, Quoten und Mut zur Kombiwette aus Grund – Folge – Ausflüchte.

Die aufgezeichnet-freundliche Stimme aus dem Lautsprecher setzt zur Erklärung an – rien ne va plus:

„Aufgrund von (Grund):

  1. Polizeieinsatz
  2. Notarzteinsatz
  3. Weichenfehler
  4. Schaden am Fahrzeug
  5. höherer Gewalt wie Vulkanausbruch
  6. ausgelaufenem Kaffee auf dem Bedienpult in der Hauptzentrale

wird der Zug der S-Bahn-Linie S42 heute leider (Folge):

  1. entfallen.
  2. 5 Minuten später eintreffen.
  3. ungeheizt und rückwärts einfahren.
  4. einen völlig anderen Streckenverlauf nehmen.

Wir bitten die Unannehmlichkeiten (Ausflüchte als Höflichkeitsfloskel verkleidet):

  1. zu entschuldigen.
  2. zu ignorieren.
  3. in ihrem Blog zu posten, um sich und andere zu erheitern.
  4. nicht mit der mangelnden Fertigstellung des Berliner Flughafen BER verallgemeinernd über einen Kamm zu scheren.

Vielen Dank.“

Als alter Hase tippe ich wissend auf die Kombi 4-1-1.

Mein frierender Leidensnachbar linkerhand auf 2-4-4.

Mein leidender Frierensnachbar rechterhand auf 3-4-2.

Meine innere Stimme setzt alles auf eine Karte und orakelt anscheinend wohlwissend 6-3-3.

Der Lautsprecher löst auf:

„Aufgrund von ausgelaufenem Kaffee auf dem Bedienpult in der Hauptzentrale wird der Zug der Linie S42 heute leider ungeheizt und rückwärts einfahren. Wir bitte die Unannehmlichkeiten in ihrem Blog zu posten, um sich und andere zu erheitern.“

Ok, er / sie / my inner me hatte also wieder Recht. Zu Recht, das muss man ihr lassen. Ich verspreche also ab heute wieder auf meine innere Stimme zu hören. Sie scheint einfach vernünftig(er) zu sein. Hier also ein Aufruf:

„Glaub an dich und deine eigene Innenmeinung“.

Ok, da mach ich mit.

René und die Prangenten

PS: Dieser Beitrag hat es so oder ähnlich in mein Buch geschafft. Glückwunsch, lieber Beitrag 🙂 Mehr Informationen dazu gibt es auf der Buchseite.

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