Das Wunder vom BER – Nie gezweifelt am Hauptstadt Meisterwerk
Die Voraussetzungen
Die Älteren unter uns können sich noch an das Wunder erinnern, als wenn es gestern gewesen wäre. Die Jahrzehnte dauernde Erfolgsgeschichte des BER Berlin begann bereits mit den Vorbereitungen in einem Deutschland im Jahre 1990. In diesem Deutschland koexistierten über 40 Jahre lang zwei Spielkonzepte, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. In einem Deutschland, das von einer gerade überstandenen frostigen Auseinandersetzung bei kalten Temperaturen genossen war.
Das Team Ost mauerte jahrelang vor allem in der Defensive nach russischem Vorbild. Dann stellte man das Spielsystem, genannt Glasnost, ab den 1980iger Jahre immer mehr um. In der Folge zeigte man sich zunehmend offener und spielfreudiger. Das Bruderteam West hingegen hatte jahrelang einen von außen gesteuerten disziplinierten Angriffsfußball nach amerikanischer Art gezeigt. Nicht immer schön anzusehen, aber vor allem effektiv. Und so war man just Weltmeister im Jahre 1990 geworden.
So viel zu den politischen Voraussetzungen für das spätere Wunder vom BER. Unter denen trat die gerade vereinte Mannschaft an, um nun ein gemeinsames Spiel aufzuziehen.
Die Suche nach dem geeigneten Spielfeld
So schickte man in den Folgejahren einige Bodengutachter, die man im hier und heute bestimmt eher Ground Scouts nennen würde, durch die brandenburgischen Lande. Zwar wurden sowohl Zuschauerinteresse, Rasenqualität, als auch der allgemeine Ball-Roll-Koeffizient nach Matthäus-Beckenbauer in Schönefeld am schlechtesten von allen sieben Möglichkeiten bewertet. Trotzdem scheute man sich nicht das Risiko einzugehen, und entschied sich 1996 für die ungünstigste aller Optionen an der Alten Landebahn in Schönefeld. Bis heute konnte nie zweifelsfrei geklärt werden, ob die schlussendliche Standortauswahl ein Zugeständnis war. Oder doch der letzte Ausweg, um den Bau des Platzes nicht an einen Investorenkreis aus Katar zu verlieren, die den Platz dann aber vielleicht in Doha gebaut hätten. In nur zweieinhalb Jahren wahrscheinlich.
In der Folge verbrachte man die Jahre 1996 – 2006 dann in vergnügter Mehrsamkeit mit den unterschiedlichsten Fanfraktionen, Fanclubs und Ultras. Diese hatten immer wieder irgendetwas an dem gewählten Standort auszusetzen, und wollten dagegen vorgehen. Von übermäßiger Lärmbelastung durch zu erwartende Fangesänge auf Laustärkeniveau eines startenden Flugzeugs war die Rede. Das war zumindest worüber sich sowohl die Mannschaft, die Administration, wie auch die Fangruppierungen die Köpfe rotdiskutieren. Wer hätte so etwas auch ahnen können, wenn man ein Stadion in dieser Größenordnung direkt an die Grenzen einer Großstadt anflanscht.
Wer baut denn nun den Rasenplatz der Herzen?
Mitten in den schönsten Gerichtsverhandlung mit den Faninitiativen und den koordiniertesten Vorbereitungen, die sich einer denken kann, hatte man dann 2003 das Trainerkonsortium vor die Tür gesetzt. Man hatte sich nicht auf die Vertragsmodalitäten einigen können. Eigentlich hätte der Trainingsbetrieb privatisiert werden sollen, um somit den Großteil der Verantwortung in andere Hände zu geben. Denn, arm aber sexy wie man war, sollte an den Kosten für den von vornherein unterdimensionierten Rasenplatz gespart werden. Daher wollte man die Privatwirtschaft involvieren. Ein kühner Plan.
„Warum nur?“ könnte sich der geneigte Rasenballsportfreund nun fragen. Wäre es nicht praktisch und im öffentlichen Interesse, wenn die Rollrasenbahnen des Rollrasenplatzes in der Hauptstadt in der öffentlichen Hand bleiben? Wo doch schon die Pseudo-Privatisierung anderer Bahnen so unglücklich verlaufen ist?
„Ja!“ würde der Platzwart hier erwidern, „praktisch wäre das!“ Nachdem die Verhandlungen mit namhaften Firmen allerdings gescheitert waren sollte plötzlich der Betreiber des späteren Fußballplatzes FBB nun vorab auch Bauherr werden. Nicht, dass er davon etwas verstünde, weil seine Kernkompetenzen nun einmal eher im Betreiben denn im Bauen liegen. Aber es gibt ja auch schließlich Fußballtrainer wie Herrn Nagelsmann, die besser trainieren als sie aktiv Fußball spielten. Sei’s also drum.
Als der Jokerspaten endlich stach
Völlig ohne Aussicht auf eine pünktliche Eröffnung war man dann 2006 für den ersten Spatenstich auf diesem ausgedienten Bolzplatz in der Brandenburger Heide angetreten. Man hatte nicht viel mitgebracht. Außer etwas handwerkliches Geschick, eine unzureichende Menge Rasensprinklervorrichtungen, und die Hoffnung auf ein wenig Prestige. Außerdem noch 1,5 Milliarden Euro und ein paar Blankoschecks in den Taschen. Denn niemand wusste wirklich wo man preislich am Ende rauskommen würde. Was so ein Echtrasenplatz überhaupt kostet. Ob er jemals fertig werden und wirtschaftlich arbeiten würde. Oder stets und ständig auf permanente Düngung durch die öffentliche Hand angewiesen sein wird.
Absehbar war zu diesem Zeitpunkt allerdings, dass die geplanten Nachtspiele unter Flutlicht nur mit großen Einschränkungen durchgeführt werden können. Denn dafür hatten die Fanclubs auch überhaupt gar kein Verständnis. So stellten sie sich geschlossen hinten rein um auf Konter zu lauern, und machten schon einmal präventiv dagegen mobil.
Die Testspiele
Die nun folgenden Jahre gestalteten sich zunächst unspektakulär. Man nahm kaum Notiz von dem, was da im Berliner Süden vor sich ging. Auch regio-, natio- und internationale Medien brachten kaum etwas über das sich zunächst verschiebende, aber dennoch anbahnende Wunder vom BER. Man kickte also munter vor sich hin. Schliff hier und da an Taktik, Raumaufteilung, Zuordnung, Budgetfragen und Zuständigkeiten innerhalb des Teams.
Die Mannschaft des 1. FC Nordbahn Tempelhof 03 konnte man 2008 erfolgreich aus den Vorbereitungen werfen. Woraufhin diese den Spielbetrieb gänzlich einstellte. In der Folge dann ihren alten Rasen samt Umkleidekabine, Sporthalle und ausgedehnter Aufenthaltsräume der Allgemeinheit und Berliner Bevölkerung zur Weiternutzung selbstlos zur Verfügung stellte.
Die Spielvereinigung Vorwärts Freundschaft Schönefeld wusste man in Laufe der Vorbereitungen auf Abstand zu halten, trotz der geografischen Nähe. Ein später Kantersieg mit 4:1 Terminals sollte aber nach Abschluss dazu führen, dass man sich Teile des Schönefelder Areals einverleibte … in aller Freundschaft natürlich.
Weniger gut lief es gegen die Aufsteiger von Düsenstrahlturbine Aufwärts Tegel. Das Hinspiel verlor man bereits 2011, und auch das später neu angesetzte Rückspiel im Juni 2012 musste man an Tegeler abgeben. Man munkelte aus Protest etwas von Verschiebung oder Absage. Wobei der wirkliche Grund sowohl 2011 wie auch 2012 immer erst kurz vor Anpfiff in die Cheftraineretage drang. Unter Zugzwang musste man sich dann ein paar nette Ausflüchte einfallen lassen. Die sauer-entsetzten Gesichter auf den Pressekonferenzen waren jedoch bis zur Perfektion geübt.
Die Gründe, die wie schlechte Vorbereitung rochen
Schließlich wurden aber eine Reihe von Gründen ausgemacht. Gründe, die auch dem glühendsten aller Fußballfans den Glauben an den schlussendlichen Triumpf ins Wankendorf brachte:
- da waren zunächst die Rasensprenger. Sie waren völlig falsch geplant, und hätten vielleicht den Park-, nicht aber den Rasenplatz wässern können.
- dann sorgte die überstürzte Verlegung der Nordtribüne an den Platz der Südtribüne für ein spontanes Durcheinander. Plötzlich konnte nämlich niemand mehr die Stromstecker für die Flutlichtanlage finden.
- gerne wollte man die mehrfach diagnostizierten Überdehnungen an den Geldbeuteln und Kofferbändern kleinreden. Was nicht sein konnte, da man von Vornherein von Mehrbelastungen in unbekannter Höhe gesprochen hatte. Wirklich! Aber nun wollte man an allen Eckel und Kanten sparen.
- auch das Einlasskonzept an den Toren war zu keinem Zeitpunkt ausgereift. So überlegte man zur Durchflussregelung eine Horde Minijobber anzustellen, die diesen per Hand regulieren sollten.
Während in der Zwischenzeit die ersten Hoffnungsträger ihre aktive Spielerkarriere aufgrund ihres Alters beenden mussten, wurde 2013 auch der Cheftrainer ausgetauscht. Denn das ein oder andere Spiel in der neuen Arena hatte man sich seit 2011 schon erhofft. Man holte aber mit Hartmut M. jemanden in die Mannschaftsbetreibergesellschaft FBB, der sich mit rasenden Bahnen und verspäteten Anpfiffen auskannte.
2014 musste man dann zu allem Überfluss noch einige Spieler für ein Konkurrenztermin in Brasilien abstellen, die danach vorsorglich ebenfalls ihre Karrieren beendeten. So standen auch diese fortan nicht mehr zur Verfügung.
Trotz aller Rückschritte und mangelhafter Abstimmung, gerade im Vorder-, Rück- und Seitenraum, starb selbst hier die Hoffnung nie, dass dieses Team noch abheben könne.
Die Neuausrichtung und die Nacht von Schönefeld
Nachdem man mit der neu aufgebauten Truppe jedoch auch die Qualifikation für die nächsten Eröffnungstermine verpasst hatte, tauschte man bis 2017 den Trainer noch zweimal aus. Von da ab saß ein wenig bekannter Bau-Übungsleiter namens Engelbert LD an der Seitenlinie. Zum Glück aber kam dieser aus dem eigenen Nachwuchsleistunszentrum namens Die Höhle der Jogi Löwen. Der machte zunächst einmal keine Versprechungen mehr, dafür aber leise Hoffnungen auf das große Eröffnungsfinale im Jahr 2019. Naja, 2020 dann spätestens, aber mehr so gegen Ende des Jahres. Und endlich hatten die Fußballfans wieder etwas wofür es sich lohnte morgens aufzustehen.
Teamintern raufte man sich in den Folgejahren nun auch, vor allem zusammen. Bis man dann in einer lauen Sommernacht in 2020 für letzte Besprechungen im Krisenstil zusammenkam. In einer symbolischen Willi Brandtrede appellierte Chefcoach LD an die Moral, die Disziplin und den Durchhaltewillen des Teams. Man wolle endlich Großes erreichen, Räume öffnen und Bahnen nutzen. Von nun an müsse man nur noch nach vorne oder oben schauen, Ball und Gegner laufen lassen. Dem Eröffnungsspiel den eigenen Stempel aufdrücken, den man sich extra hatte designen lassen. Wenn abgehoben werden muss, dann nur zu einer gut getimten Schwalbe. So gab man am Ende dieser langen Krisennacht das Datum heraus, an dem es nun wirklich passieren sollte:
31. Oktober 2020
Warum es nun unbedingt am Schreckensfest Halloween sein musste, das sollte man unter Berliner Humor verbuchen.
Natürlich war man nicht untätig geblieben, und hatte die ungarischen Gastspieler hinreichend unter die Scouting-Lupe genommen. Durch ihr Tempo, ihre rustikale Ernährung und nicht zuletzt ihre Geheimsprache würden sie als haushoher Favorit antreten. Ganz sinn- und spurlos sollten die letzten 14 Jahren intensiven Trainings an der BER-Wundermannschaft aber nicht vorbeigegangen sein. So plante man beispielsweise sich vor dem Spiel mit neu eingeführtem Stollenkonfekt fitzunaschen. Offiziell war das kein Doping, sollte aber durch das Mehr an Körpergewicht auf dem ungewissen Untergrund einen Haftungsvorteil bringen.
Letzte Vorbereitungen unternahm man im August und September 2020, als man gegen Tausende von Komparsen antrat und den Ernstfall probte. Man spielte zahlreiche Formationen durch, lief ins Leere und schöpfte aus dem Vollen. Machte WC-Belastungstests in den Pausen. Zählte die Rasensprinkler immer und immer wieder durch. War man tatsächlich bereit für den Anpfiff, bevor die nächste Generation ehemals Talentierter ebenfalls in den Ruhestand entschwand?
Ja, das war man.
Fertig zum Abheben – das Eröffnungsspiel
Das eigentliche Spiel wurde sogar pünktlich angepfiffen. Das Zuschauerinteresse ließ allerdings zu wünschen übrig, es waren weit weniger Fans und lautstarke Unterstützer zugegen als ursprünglich geplant. Dafür kamen einige recht unerwartet, die meinten, dass dieser neue Rasenplatz ein Klimakiller wäre. Was natürlich Quatsch ist, schließlich bindet Rollrasen eher CO2, als dass er ihn freisetzt. Nachdem man den Ordnern eine tragende Rolle beim Abtransport der CO2-Protester zugestanden hatte, kehrte wieder Ruhe ein.
Der Trainerstab erschien zur Feier des Tages mit Maske. So hatte man doch ein gewisses Mund-Nasen-Schutzschild hinter dem man sich notfalls verstecken konnte, falls doch etwas schief ging.
Eine Wasserfontäne der Freude ergoss sich symbolisch in den Berliner Himmel – es ging los.
Offensichtlich zunächst ohne die Heimmannschaft. Denn es schien anfangs, dass man sich hier blamieren würde, da man schon nach wenigen Minuten mit 0:2 hinten lag. Und das ohne große Sondereinlagen, einfach mit konsequentem Pressing. Durch eine rhetorische Glanzleistung gelang dem Team um Engelbert LD dann aber fast genauso schnell der Ausgleich. Die wenigen Zuschauer sahen packende Luft-, dann später Laufduelle vom Rasen in die Kabine, als zum Halbzeittee gepfiffen wurde.
Etwas weniger packend verlief die zweite Halbzeit. Man schien falsch informiert zu sein, dass ein Unentschieden hinsichtlich der Eröffnung keine Alternative ist. So mussten beide Teams immer wieder angetrieben werden. Hin und wieder griff dann der Schiri noch ein, um die Spieler an den Mindestabstand zu erinnern. Am Ende ließ man dann aber nichts mehr Rahnbrennen, ging in der 84. Minute in Führung, und gab diese nicht mehr aus der Hand. Man brachte den Triumph sicher nach Hause.
Vielleicht etwas unspektakulärer als man hoffte, drückte zum Abpfiff jemand auf einen dicken Knopf, der ein virtuelles Feuerwerk auf der LED-Leinwand entfachte.
Man sank kurz demonstrativ auf die Knie, und Engelberts Mannen schickten ein Tegel-Unser in den Nachthimmel.
Das, womit niemand mehr gerechnet hatte, war geschafft. Am Abend des 31. Oktober 2020 war es dann soweit, der Hauptstadtrasenplatz war eröffnet.
Nach 30 Jahren Planung. 14 Jahren Bauzeit. Mindestens 10 verschiedenen Eröffnungsterminen. 7 Milliarden Euro Kosten. 5 Trainern. 2 Regional-, 1 Auto- und 0 U-Bahnanschlüssen.
Gefeiert wurde dann schlussendlich auch nicht viel. Nicht mal eine Kiste Zuckerlimo war noch drin. Das knappe Budget war mit 7 Milliarden Euro nun mal einfach aufgebraucht. Zum Glück ließ ein Hotelier noch was springen. Dieser lokale Herberger lud selbstlos Clubbosse, Trainer und Spieler auf einen Hopfenaufguss ein. Trotzdem blieb die Feier unerwartet konservativ. So lag man sich nicht etwa in den Armen. Vielmehr nickte man sich freudig zu, und gab das größte Lob in die Runde zu dem wir Berliner fähig sind:
„Da kannste nich‘ meckern“ war vielerorts zu hören. Gekonnt hätten wir schon, aber immerhin hatten wir jetzt einen Rasenplatz, auf dem wir soeben zum Überflieger des Jahrhunderts wurden.
Ja, es glich tatsächlich einem Wunder. Dem Wunder vom BER.
– Der BerlinAutor
Erstaunlich, wie viel Fußball anno 1954 und die verzögerte Eröffnung eines Flughafens anno 2020 gemeinsam haben …
5 Kommentare
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